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Freitag, 23. Dezember 2011

Dynamische Impulsantworten

"Wir haben da auch schon mal was aufgenomen"

Es hat sich mal wieder ein freies Elektronik-Projekt aus verschiedenen Musikern zur Recordingsession angemeldet. "Wir haben da auch schon mal was aufgenommen" heißt es dann oft und man erfragt, welches Programm zur Aufnahme verwendet wurde. Das mulmige Gefühl im Bauch sagt einem, das jetzt irgend ein Freeware-Sequenzer zitiert wird und man denkt sich: 40 Audiospuren manuell importieren mit unterschiedlichen Startpunkten, keine weiteren Angaben, keine Marker, kein Tempo, alles irgendwie auf Zuruf.

Wenn man ganz viel Glück hat, dann weicht das mulmige Gefühl der Freude, da die Truppe tatsächlich ein professionelles Tool nutzt. "Yeah!" - denk man sich zufrieden. USB-Festplatte ran, Projekt öffnen und los gehts.

Es ist Samstag und die Jungs sind da. USB-Festplatte ran, Projekt öffnen und....

PlugIn X fehlt! PlugIn Y fehlt! PlugIn Z fehlt!

Danke an euch alle, Ihr fleißigen Free-VST-Entwickler, ehrlich! Aber jetzt ist der Samstag gelaufen, weil alle PlugIns heruntergeladen und installiert werden müssen. Verträgt sich das mit den restlichen PlugIns? Läuft dann mein System noch stabil? Ja, Nein, Vielleicht?

ICH:"Könnt ihr die Effekte nicht zu Hause als Spuren exportieren?"

PROJEKT-GRUPPE:"Nee, dann kann ja nix mehr geschraubt werden, weißt du? Das ist echt wichtig, wegen Echtzeit, Kreativität, spontan und so."

Und nun?

Spätestens hier gibt es drei Wege:
  1. Man versucht mit den eigenen PlugIns deren Effekte zu simulieren
  2. Man überzeugt die spontanen Echtzeit-Kreativen von dem magischen Mischer-Mantra "irgendwann muss man sich mal entscheiden" und lässt die Jungs doch alles zu Hause exportieren.
  3. Alle Projektmitglieder nutzen ein (am besten DEIN) Programm, das bereits (nur) integrierte Effekte hat.
Was ist der richtige Weg? Was wäre am besten, sinnvollsten oder zeitsparensten?
Definitiv ist die zweite Alternative die schnellste - leider gärt dann der Unmut innerhalb der Kreativ-Truppe und man wird als langweiliger, beamtenhafter Büromuffel abgestempelt.

Fluch und Segen von VST, RTAS, AU & CO

Was einst als offener Standard für alle Entwickler began, und immernoch eine super Sache ist, kann inzwischen zu einem mächtigen Problem werden!
Fakt ist, das die Vielzahl der Software-Effekte stimulieren kann - rein mental gesehen!
Fakt ist aber auch, das die Vielzahl der Software-Effekte das System irgendwann ausbremst oder sogar zum Absturz führen kann, wenn ein programmiertechnischer Freigeist sich an irgendwelchen wilden Algorithmen probiert hat - ebenfalls rein mental gesehen!
Und der dritte Fakt ist, dass letztendlich jeder Effekt simuliert werden kann.

Das wär es doch - alles mit einem Effekt!

Wie das geht?

Die bis jetzt nur im Bereich der Reverb-Effekte und Amp-Simulationen genutzte Technik der Impulsantwort könnte für solche Fälle genutzt werden. Aber hier gibt es natürlich einen kräftigen Dämpfer, denn meine spontanen Echtzeit-Kreativen haben an allen ihrer 283 VST-Plugins mindestens einmal geschraubt und die Reglerautomation aufgezeichnet. Und jetzt steht man wieder komplett am Anfang der Überlegung.
Um auf die Überschrift zurückzukommen, müsste es eine Kombination aus "PlugIn runterladen" und "Impulsantwort" geben, und das ganze auch noch dynamisch im Zeitverlauf.

Die Lösung wären dynamische Impulsantworten, die sich auf Basis der Einstellungen rendern lassen. Da die Impulsantwort selbst ein Sample ist, wird in einem Faltungshall-PlugIn ja nicht die Impulsantwort selbst auf den Input gelegt, sondern es findet eine Analyse statt. Der hier entstehende Fingerabdruck / Blue Print ist eine kurze Momentaufnahme. Bei langen Songs müsste man aber entweder durchgängig Impulsantworten (Weisses Rauschen) durchschicken, und das Ergebnis als Impulsantwort in das Programm laden. Das ist aber Quatsch, denn dann kann die Spur auch gleich mit Effekt gerendert werden!

Ich bin kein Algorithmen-Programmierer, gehe aber davon aus, das während der Analyse der Fingerabdruck / Blue Print irgendwo als Algorithmus zwischengespeichert wird. Ändert sich nun der Fingerabdruck / Blue Print, dann ändert sich entsprechend der Algorithmus - und das bitteschön ich Echtzeit! Und der Fingerabdruck / Blue Print sollte als Datei wesentlich platzsparender sein, als das Analyse-Sample, denn schließlich müssen nach dem anfänglichen Grundmuster nur noch die Änderungen in den Algorithmus einfließen. Das wär es dann auch schon mit meiner Wunschliste für dieses Weihnachtsfest!

"Unmöglich!" denkt Ihr?

"Noch!" sage ich!

Waldorf Q in da Hood!

Deinen ersten Waldorf - vergisst Du nie!

So oder ähnlich könnte ein passender Werbe-Claim für den Waldorf Q sein.
Bis jetzt waren mir die Geräte von Waldorf immer zu teuer. Aber jetzt konnte ich endlich eine Q Rack für 600 €  ergattern. Der Sound begeistert auf Anhieb, da hier gleich 3 Oszillatoren pro Stimme genutzt werden können. Für einen fetten Sound-Stack können 4 Layers gleichzeitig gespielt werden - also eine Art Super-Multimode. Hier sind dann 3 x 4 = 12 Oszillatoren pro Stimme spielbar - ja, das ist echt fett!

Ich habe einmal versucht, die Supersaw-Funktion des JP-8000 nachzubauen, und der Sound des Q ist hier wesentlich differenzierter. Während beim JP-8000 mit steigendem Detune der Sound zu verwaschen beginnt und sich vom Hörer entfernt, bleibt der Q direkter. Zudem kann das Detune wesentlich extemer gefahren werden, so dass sich mit steigendem Detune der Unisono-Sound in eine chaotische Soundwand verwandelt.

Wellen in Tabellen

Nach kurzem reinhören in die 2 x 128 Wavetables war ich erfreut, das hier doch viele unterschiedliche Wellenformen integriert wurden. Was Wavetables sind? Naja, so was wie viele kurze Wellenform-Stücke (ein Cycle), die alle in einer Art Tabelle in 128 Zellen stehen. Wird nur eine Zelle ausgewählt, wiederholt der Oszillator ständig diese eine kurze Wellenform. Über ein Herumspringen oder Herumfahren durch die einzelnen Zellen, dem sogenannten "Wavetable-Scanning" per LFO, kommen schnell schicke Flächen und Drones heraus, ohne lange am eigentlichen Sound herumzuschrauben.

Ein weiteres Feature ist die Routing-Matrix, mit der man irgendwie alle Quellen mit allen Zielen "vertüddeln" kann. Entsprechend schnell kann man sich hier auch mit der Programmierung "vertüddeln". Da muss man sich vorher Gedanken über das Routing machen. Von meinen anderen Geräten (JP-8000, Z1, K5000S) bin ich solch eine Flexibilität nicht gewohnt. Bei den anderen Geräten geht halt nur das - was halt nur geht (alles klar?). Diese Einschränkungen sind einem irgendwann bekannt. Bei dem Q ist das etwas anders - während eine Modulationsquelle mit einem Ziel verbunden wird, schwirren einem die ganzen anderen Modulations-Möglichkeiten im Kopf herum. "Eigentlich könnte ich das Tuning vom Osc1 von der Hüllkurve modulieren lassen, und dann die Hüllkurve vom LFO - oder doch den Osc1 vom LFO und die Hüllkurve über das Keytracking..." Die Soundtüftler unter euch merken schon: Das sind SEEHR schwierige Entscheidungen die getroffen werden müssen ;-)

Ein wenig schwer habe ich mich mit dem Vocoder getan, hier war die Bedienungsanleitung doch etwas zu kurz. Nachdem ich aber einen Artikel von dem Magazin SoundOnSound gefunden hatte, konnte ich einen guten Ansatz finden, um auch dieses Feature sinnvoll einzusetzen. Vor allem Drumloops bekommen mit dem leicht per LFO modulierten Vocoder-Signal wesentlich mehr Leben - das geht übrigens auch super mit anderen VST-Instrumenten. Übrigens wundere ich mich, warum immer noch so wenig Vocoder-Sounds für Rhytmus-Elemente verwendet werden. Es klingt wesentlich schöner und melodischer als hakelige Gater-Effekte, aber das ist ein anderes Thema.

Usability oder Use a Bill, Litty?

Zurück zum Q: Die Bedienung ist dank den vielen Endlos-Drehreglern OK. Die Menüstrukturen dagegen eher gewöhnungsbedürftig und die Gewöhnungsphase ist leider etwas länger, als ich angenommen hatte. Das 2 Zeilen-Display lässt bei vielen Einstellungen leider wenig Informationen rüberwachsen. Die Folge ist, das man sich dauernd durch die Menüseiten durchklicken muss. Wer Waldorf-Instrumente gewohnt ist, wird hier (denke ich mal) keine Probleme haben - ich als Waldorf-Neuling war trotz vorbildlichem Bedienungsanleitung-Studium anfangs etwas überfordert.

Wer für Liveauftritte den Waldorf Q Rack nutzen will - no way! Kauft besser die Tastenversion! Die zusätzlichen 200 € sind hier echt sinnvoll angelegt! Für mich ist allerdings langsam Platzmangel angesagt, daher war das Rackgerät eine sinnvolle Alternative!

Und in der Mischung?

Aus der Mixing & Songebene betrachtet, rückt der Q einem fast schon zu nah auf die Pelle. Der direkte Sound drängelt sich oft nach vorne und verdeckt gerne andere Frequenzbereiche - und damit andere Instrumente. Da beim Programmieren eher der Einzelsound im Fokus steht ("Geiler Sound alta, und jetzt noch den Rest des Songs dazu...ups") dreht man hier gerne immer etwas mehr von ALLEM rein. Im Mix muss man sich dann aber eingestehen, das der fette Sound etwas zu fett ist. Ein beherzter Griff in den internen EQ des Waldorfs hilft hier eine Menge! Der EQ ist übrigens wirklich gut um den Sound "im Rahmen zu halten".

Von den Effekte sind die Delay-Effekte positiv aufgefallen. Etwas schwach kommt der Reverb daher - der langt für Hintergrundgewaber sicherlich aus. Bei vordergründigen Sounds ist hier aber Vorsicht geboten, es klingt schnell künstlich und der Sound will sich eeinfach nicht in den Rest des Mixes einfügen - egal wie lange man schraubt. Tipp: Den Sound ohne Reverb ins Pult und dann lieber ein internes Reverb-Plugin nutzen, da gibt es inzwischen eine Menge an guten Entwicklungen, wie das Altiverb oder die Lexikon-Suite.

Am Schluss das Fazit: Der Waldorf Q Rack ist durchaus eine sinnvolle Investition. Der Sound ist satt und direkt. Wesentliches Merkmal sind die Wavetables und die flexible Routing-Matrix. Der interne Vocoder und die Delay-Effekte sind für den Preis ok. Der Reverb und das Display sind die negativen Apekte. Für Live-Keyboarder: Dringend die Tastenversion organisieren!