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Donnerstag, 9. Juni 2016

Jams, Jamtracks & Jamsessions

Jams

Ein Jam ist eine teilweise bis völlige Improvisation von verschiedenen Musikern zur gleichen Zeit. Form, Struktur, Stil, Sound, Harmonien etc. können im Vorfeld besprochen werden - eine Jam funktioniert aber genauso gut, wenn keine Absprachen existieren.

Ein Jam hat kein Anspruch auf Perfektion und kein festgelegtes Ziel, sondern lebt von der Ideenvielfalt, Kreativität und Variation der einzelnen Musiker.

Freie Instrumentenwahl oder ein Wechsel der Instrumente während der Jam ergeben neuartige, musikalische Ergebnisse und unerwartete Klangschöpfungen. Diese Art der völlig freien Improvisation bietet sich besonders für Band an, die bereits seit mehreren Jahren in gleicher Besetzung spielen und neue Wege der Kreativität suchen.

Vorgehen

Einer der Musiker startet und gibt ein Lick, Riff, Groove oder Melodie-Linie vor. Die anderen Musiker steigen nacheinander ein. Während eines Jams variieren die Musiker eigenständig ihre Parts, so dass immer wieder neue Gesamtarrangements entstehen.  Ein Jamtrack enden, wenn einer der Musiker ganz aussteigt (und nicht nur pausiert) oder per Blickkontakt / Handzeichen ein Ende signalisiert und alle anderen Musiker gleichzeitig oder nacheinander aussteigen.

Jamtracks

Jamtracks sind die Musikstücke, die innerhalb eines Jams entstehen. Jamtracks haben typischerweise keine klaren Strukturen. Die Jamstracks bestehen aus unterschiedlichen Sektionen, die fließend ineinander übergehen. Die typische Länge von Jamtracks liegt zwischen 5 und 15 Minuten. Ein Jamtrack kann auch über mehrere Stunden gehen, je nach Ausdauer und Ideenvielfalt der beteiligten Musiker.

Tipps & Tricks

Intro: In einer Jam fällt es vielen Musikern besonders am Anfang schwer, den ersten Schritt zu tun und ein Jamtrack zu beginnen. Einige Musiker möchten in einer Jam ihr Können unter Beweis stellen, und beginnen mit einem sehr komplexen Riff/Lick, dem die anderen Musiker nicht folgen können oder wollen, da es keinen Freiraum für die anderen Instrumente gibt. Für den Start sollte daher eine sehr einfache Melodie oder ein sehr reduziertes Riff dienen, damit den anderen Musikern der Einstieg erleichtert wird. Im Laufe des Jam kann dann die Komplexität erhöht werden. In Solo-Einlagen kann jeder Musiker sein Können unter Beweis stellen.

Solos: Für die einen die geliebte Kür, für die anderen unangenehme Pflicht - dennoch gehört in jeder Jam ein Solo pro Musiker als persönlicher Beitrag dazu. Wer unendliche Solos liebt, sollte zwischendurch in die Gesichter der Mitmusiker schauen - es könnte für die anderen irgendwann sehr langweilig werden. Wem Solos nicht liegen sollten, der kann diese Momente nutzen um sich an Solos auszuprobieren. Jamtracks ganz ohne Solos funktionieren, erfordern aber mehr Variation und Vielfalt von den Musikern, damit keine Langeweile aufkommt.Und irgendwie gehören Solos einfach zu einer guten Jam dazu.

Fehler: Fehler passieren in einer freien Jams immer - egal ob jemand sich verzettelt, aus dem Takt kommt oder die Notenfolge verwechselt hat. Die Herausforderung beim Jam ist, sich von den Fehlern  der anderen nicht aus dem eigenen Konzept bringen zu lassen und bei eigenen Fehlern wieder "in die Spur" zu kommen. Wer aufgrund einer falschen Note abbricht (und heult), verdirbt den anderen und sich selbst den Spaß am jammen.

Nach Gehör spielen: Es gibt bei einer improvisierten Jam keine Noten und im Vorfeld besprochene Harmonie-Vorgaben schränkt die künstlerische Freiheit der einzelnen Musiker unnötig ein. Daher ist es sehr hilfreich und teilweise unabdingbar, das die Musiker "nach Gehör" spielen können oder über den Blick auf die Instrumente der anderen Musiker (z.B. Griffbrett oder Klaviatur) die gespielten Noten erkennen. Über das "Ausprobieren" kann versucht werden, passende Noten zu finden. Besonders die Komponente "Ausprobieren" erzeugt interessante Ergebnisse, die in der "klassischen" Herangehensweise an eine Komposition oder Arrangement nur sehr selten Verwendung finden würden.

Aufeinander achten: Ein Jam endet schnell im Chaos, wenn keiner auf den anderen achtet. Daher ist es extrem wichtig die anderen Musiker zu beobachten bzw. hinzuhören wer gerade was spielt. Dabei hilft es sehr, wenn die lauteren Musiker ihre Verstärker und ihre Kraft zügeln. Bei Fehlern darf zwar über die Fehler, aber nie über den Musiker gelacht werden. Während einer Jam entsteht eine gewisse Art von Vertrauen unter den Musikern und das sollte man mit solchen Aktionen nicht aufs Spiel setzen.

Weniger ist mehr: In Jams spielen die Charaktere der Musiker eine große Rolle - wer sich auf Dauer in den Vordergrund drängt (durch zu hohe Lautstärke oder stetige Nerv-Soli) wird die anderen verärgern, da für die anderen Musiker zu wenig Platz für die kreative Entfaltung bleibt. Daher sollten alle Musiker ihre egozentrischen Eigenheiten zügeln und sich in Geduld üben. Der Moment des Solos wird für jeden kommen. Auch komplexe Riffs/Licks oder Speedprügelei am Schlagzeug ermüden die anderen Musiker irgendwann, denn es bleibt kein Platz um eine Dynamik im Jamtrack auf- und auch wieder abzubauen.
Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, das eher die einfachen Licks/Riffs oder Melodien die anderen Musiker zu guten Ideen anregen. Komplexere Parts lassen dagegen wenig Spielraum für neue Ideen -  aber das muss natürlich nicht immer so sein.

Non-verbale Kommunikation: Während der Improvisation ist eine verbale Konversation nicht möglich oder sehr störend. In Jams wird daher mit Blickkontakten oder Handzeichen kommuniziert. Falls dies nicht funktioniert, gibt es alternative Ansätze um während der Jam innerhalb der Jamtracks zu kommunizieren:
  • Jam-Leader: Es wird zu Beginn gemeinsam ein Jam-Leader bestimmt. Dieser dient den anderen Musikern zur Orientierung, ähnlich einem Dirigenten in einem klassischen Orchester. Der Jam-Leader signalisiert mit Handzeichen Übergänge, Breaks, verteilt per Fingerzeig Solorollen oder kündigt das Ende eines Jamtracks an.
  • Jam-Zonen: Experimenteller wird es, wenn der Raum (oder die Bühne) in verschiedenen Zonen aufgeteilt wird. Die Zonen und deren Bedeutung werden zu Anfang unter den Musikern abgesprochen. Zonen sind im einfachsten Falle die Ecken eines Raumes - können aber auch Orientierungspunkte wie "Ausgangstür",  (vor dem) "Schlagzeug",  (vor dem ) "Gitarrenamp" etc. sein. Auf einer Bühne wird eher der vordere Bereich in "Links, Mitte, Rechts" aufgeteilt. 

Jamhabits: Jeder Musiker hat seine eigenen musikalischen Muster oder Angewohnheiten (Jamhabit) , in die er gerne zurückfällt. Um diese Jamhabits zu vermeiden, lohnt es sich Riffs oder Melodien anderer Musiker zu übernehmen und abzuwandeln. Eine andere Möglichkeit ein Tausch der Instrumente untereinander. "Fremde" Instrumente zu erforschen weckt die natürliche Neugier und lässt im Zusammenspiel mit den anderen Musikern ganz neue Klanggebilde entstehen. Es erzeugt ein tieferes Verständnis von anderen Instrumenten, deren tonalen Möglichkeiten und dem Klangspektrum. Die Ergebnisse aus einem Instrumentenwechsel sind nicht perfekt tonal und oft nicht harmonisch "schön", können aber durchaus Freude bereiten und sehr interessant sein.

Gruppendynamik: Die Gruppendynamik innerhalb einer Band kann durch Jamsessions trainiert und auf ein höheres Level befördert werden. Die Abstimmung wer was spielt - ohne verbale Kommunikation - trainiert das bewusste Zuhören und das Verständnis untereinander. Fehlertoleranz gegenüber anderen Bandmitgliedern fördert das Vertrauen. Werden Melodien oder Riffs von anderen Bandmitgliedern übernommen, gedoppelt oder variiert, ist dies Anerkennung und Wertschätzung gegenüber dem anderen Bandmitglied - eine wichtige soziale Erfahrung die das Selbstwertgefühl und die Selbstsicherheit der Mitglieder steigert.
Ein wichtiger Teil der Gruppendynamik ist auch die Beeinflussung der anderen Musiker durch den eigenen musikalischen Beitrag.

Reflexion: Eine Jamsession kann als "Happening" passieren - und somit ohne eine Feedback-Runde verhallen. Wer allerdings etwas lernen will und sich weiterentwickeln möchte, der sollte seine Eindrücke in anschließenden kurzen Gesprächen (je nach Gruppengröße 5-10 Minuten pro Jamtrack) mit den anderen Musikern teilen. Hier sind besonders die "magischen Momente" hervorzuheben, die bei Jamsessions immer wieder entstehen können sowie die Parts oder Melodien die einem besonders gefallen haben. "Feedback ist ein Geschenk" - und jeder freut sich über Geschenke!

Analyse: Wer tiefer in die Analyse von Jams steigen möchte (und das rate ich jedem) der sollte die Jamsession aufnehmen. Aus eigener Erfahrung kann ich berichten, das sich durch regelmäßige Analyse der Jamsession-Aufnahmen einen erheblicher Entwicklungsschub einstellt. Es führt zu einer stetigen Erweiterung der Spielart sowie sowie die Verbesserung der Instrumentenbedienung und der Klanggestaltung. Schnell wird einem klar, welche Riffs, Melodien und sonstige Dinge gut funktionieren und welche Techniken sich für fließende Übergänge zwischen Sektionen am besten eignen. Und für mich als Synthie-Schrauber gibt es mir ein sehr gutes Feedback, wie meine Sounds im Gesamtklang der Gruppe wirken.

Recording: Durch die technische Entwicklung im Bereich Homerecording ist es inzwischen ohne hohe Kosten möglich, mit PC und Soundkarte eine ganze Band in separaten Spuren aufzunehmen, so daß jeder der Musiker (Interesse und PC-Kenntnisse vorausgesetzt) seine Spur innerhalb der Jamsession anhören und analysieren kann.

Jamrecording mit Klick: Ein Klicktrack ist eine Einschränkung, aber auch eine Hilfestellung. Zum einen schränkt der Klick die natürliche Schwankung des Tempos ein, zum anderen ist es als Richtlinie hilfreich, um allzu große Temposchwankungen zu vermeiden. Es sollten in jedem Falle beide Varianten probiert werden.

Mixing: Wer die Jamsession in Mehrspurverfahren aufgenommen hat, kann auch seine Mixing-Skills verbessern, da gutes "Übungsmaterial" vorhanden ist. Da Jamsessions in der Regel sehr reich an spielerischer Varianten sind, können aus einer Aufnahme mehrere Versionen kreiert bzw. Remixe erstellt werden. "Elastic Audio" und "Pitch Shifting" erleichern es, die Aufnahmen (wenn ohne Klick aufgenommen) in ein Sequenzer-Raster einzupassen und schiefe Töne zu korrigeren.

Info: Im deutschen Wikipedia Eintrag ist über eine Jamsession nur sehr wenig Information enthalten: https://de.wikipedia.org/wiki/Jamsession

Über den Autor: Der Autor greift im Bereich Jams / Jamsessions auf über 15 Jahre praktische Erfahrung zurück. Als treibende Kraft hat er Jamsessions mit verschiedenen Musikern aus dem Norddeutschen Bereich organisiert und durchgeführt.