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Freitag, 12. August 2016

Jams, Jamtracks & Jamsessions Teil II

Vorwort: In diesem Blogpost möchte ich meine Theorie vorstellen, die ich aus 15 Jahren Erfahrung als aktiver Musiker mit dem Thema Jam, Jamtracks, Jamsessions und aus den Analysen der umfangreichen Jam-Aufnahmen der Bardenflether Muckerei erlangt habe. Diese Theorie stellt keinen universalen musiktheoretischen Ansatz dar - zudem bin ich kein Musiktheoretiker - sondern soll Musikern dabei helfen, die Struktur, Prozesse und Bestandteile eines Jams zu verstehen um so mit praktischen Hilfsmitteln die Gestaltung des Jams positiv zu beeinflussen. Gedanken, Kritiken aufgrund anderer Ansichten oder Meinungen sind als Kommentar willkommen.

Jamsessions interessanter gestalten

Jamsessions beginnen meist mit einer Vorgabe von einem Musiker - sei es ein Riff, ein Beat, ein Basslauf oder eine Melodie. Andere Musiker steigen mit ein. Spätestens an dieser Stelle gibt es oft ein Problem: Es wird nur ein Riff bespielt - es gibt keine Variationen. Es entwickeln sich keine additiven Parts, Sektionen oder Phasen. Irgendwann wird es langweilig und die Musiker hören enttäuscht auf. Dafür habe ich bereits einen Post geschrieben, der viele Tipps & Tricks zum Thema Jam enthält. In diesem Post möchte ich nun in die detailliertere Analyse einsteigen und etwas über meine Theorie erzählen.

Analyse eines durchschnittlichen Jamtracks

Bezogen auf ein Jamtrack ohne vorherige Abstimmung über Struktur oder Töne/Akkorde (im Gegensatz zur Jamsession im Jazz, die auf Standards oder Absprachen basieren) lässt sich ein Jamtrack in Phasen, Sektionen und Parts einteilen.



Phasen

Die Phasen sind für alle Jam Teilnehmer gleich Bild: Es gibt verschiedene Phasen, die charakteristisch für Jamtracks sind.

Findungsphase (discover phase)

Je nach Fertigkeit, Erfahrung und Können der Musiker kann die Findungsphase mehrere Minuten dauern. Im Durchschnitt beträgt die Findungsphase 30 Sekunden bis eine Minute bei erfahrenen Musikern. Die Findungsphase verkürzt sich, wenn die Komplexität des vorgegebenen Parts gering ist und verlängert sich mit steigender Komplexität. Daher ist es ratsam, mit einem sehr einfachen Part zu beginnen, um die Findungsphase zu verkürzen. Erfahrene Jam-Musiker starten gerne mit einer eigenen Section, die schon aus 2 oder 3 unterschiedlichen Parts besteht.

Einigungsphase (unification phase)

Die Einigungsphase ist wichtig für einen Jam und bildet die Basis für alle weiteren Phasen, Sections und Parts.
Direkt nach der Findungsphase schließt sich die Einigungsphase an, in der jeder Musiker seinen passenden Part gefunden hat. Im folgenden werde ich diesen Part als Basislinie bezeichnen. Variantionshäufigkeit und Komplexität sind in der Regel in dieser Phase noch relativ gering.

Variationsphase (variation phase)

Nach der Einigungsphase beginnen die Musiker unabhängig voneinander ihre Part zu variieren. Dies charakterisiert die Variationsphase. Der Übergang zwischen Einigungsphase und Variationsphase ist meist fließend. Die Variationsphase ist der größte und längste Teil des Jams. Auch Soli, Breaks und weitere strukturelle Änderungen sind eine Variation und gehören per Definition zur Variationsphase.

Endphase (ending phase)

Das Ende kann entweder klar und schnell passieren, oder der Jamtrack läuft aus. Dazu wird Komplexität, Lautstärke und Variation so lange reduziert, bis alle Musiker aufhören.

Zum Verständnis meine Definitionen:
  • Komplexität: Wie viele Töne werden pro Takt gespielt
  • Variation: Wie viele unterschiedliche Töne haben die aufeinander folgenden Takte
Die Dynamik (Wie laut werden die Töne oder das Instrument insgesamt gespielt) lasse ich außen vor, denn die Dynamikschwankungen liegen auf einer übergeordneten Ebene und erstrecken sich über den gesamten Jamtrack, und nicht nur auf Phasen oder Sections.

Wichtig ist an dieser Stelle zu erkennen, dass ein Jamtrack im Gegensatz zu einem Song eine ganz andere Struktur aufweist. Ein nicht abgesprochener Jamtrack hat selten eine Songstruktur, aber es gibt an manchen Stellen Parallelen. Ein starker Einfluss darauf hat die Teilnahme eines oder mehrerer Sänger an der Jam.



Sections

Durch Sections kreieren die Jam Teilnehmer den Jamtrack Bild: Ein Jamtrack besteht aus unterschiedlichen Sections.

Eine Phase kann aus mindestens einer oder mehreren Sections bestehen. Globale Sections befindet sich innerhalb des Jamtracks und der Phasen. Individuelle Sections erzeugt jeder Musiker durch seine Jamteilnahme.

Globale Sections bestehen aus der Summe der individuellen Sections.

Sections stellen ein Bindeglied dar und verbinden die Phasen des Jamtracks mit den Parts der einzelnen Musiker.

Die globalen Sections in einem Jamtrack unterscheiden sich in mindestens einem der folgenden Punkte:
  • Unterschiedlicher Sound (nicht Lautstärke!)
  • Unterschiedliche Instrumente
  • Unterschiedliche Backline (Aktive Musiker)
  • Unterschiedlicher Beat
Die globale Section Einteilung dient als Richtlinie für die Analyse eines Jamtracks.

Die individuellen Sections der einzelnen Musiker unterscheiden sich nur in der Kombination verschiedener Parts.


Parts

Parts sind für jeden Jam Teilnehmer unterschiedlich.

Innerhalb der individuellen Sections gibt es die Parts - diese können auch als Takt interpretiert werden. Parts unterscheiden sich untereinander anhand ihrer Komplexität (Anzahl der Töne), der Variation (unterschiedliche Töne) und Groove/Feeling (unterschiedliche Tonlängen). Um meine Theorie an dieser Stelle zu vereinfachen, lasse ich die Dimension "Variation" und "Groove" bei Seite und konzentriere mich alleine auf die Dimension "Komplexität", um das Thema zu vereinfachen.

Die Anzahl der Parts pro Section ist klar abhängig vom Jamtrack. Die genannten Beispiel haben 8 Parts pro Section, es können aber auch mehr (12, 16, etc.) oder weniger (4) sein.

Bild: Section A in 8 Parts mit verschiedenen Varianten unterteilt

Zur Vereinfachung: Die Nummer des Parts ist der Grad ihrer Komplexität.

So beinhaltet der Part 1 wenig Komplexität durch sehr wenige Töne, während Part 4 im Vergleich zu Part 1 mehr Komplexität durch viele Töne erhält. Der Part 1 in Section A muss nicht identisch sein zum Part 1 in der Section B. So kann ich die gleiche Melodie in Section A mit einem Klavier spielen, in Section B mit einer Orgel. Obwohl sich nur der Sound verändert, bewirkt der Soundwechsel eine Änderung in der subjektiven Wahrnehmung. Der Part 1 bleibt aber in seiner Komplexität identisch.

Part Variationen in Sections

Nun möchte ich mehr ins Detail einsteigen und auf die verschiedenen Part-Variationen eingehen. Je nach Anordnung der Parts bewirken die Sections entweder Spannung oder Langeweile bei Hörern. Wird ein Part wie im unteren Bild (Section A) mehrmals hintereinander gespielt, entwickelt der Zuhörer eine gewisse Erwartungshaltung, die dann immer wieder erfüllt wird.

Bild: Langeweile pur in dieser Section A mit 8 identischen Parts

Das Resultat der stetigen Erfüllung der Erwartungshaltung ist Langeweile.

Um dies zu vermeiden, werden verschiedene Parts genutzt. Es genügen schon kleine Änderungen der Komplexität, um einen Eindruck der Abwechslung zu erreichen.
Bild: Es wirkt spannender und rund, wenn die Section A mit einem Part 2 abgeschlossen wird

Part 2 hat einen höheren Grad der Komplexität als Part 1. Dadurch wird Spannung beim Hörer erzeugt, da die Erwartungshaltung nicht erfüllt wird. Und die Section wirkt in sich rund, da die Section durch einen alternativen Part "abgeschlossen" wird.

Wir gehen noch einen Schritt weiter, und führen Part 3 ein, der eine höhere Komplexität hat als Part 2. Der Ausdruck "höhere Komplexität" ist natürlich relativ - schon eine zusätzliche Note mehr als Part 2 genügt um den gewünschten Eindruck zu erreichen.

Bild: Der Part 3 bereichert die Section A am Ende, der Part 2 rutscht in die Mitte

So entsteht ein kleiner Spannungsbogen, wobei Part 2 die erste Abwechslung bietet und Part 3 den Abschluss der Section abrundet. Wird an den Positionen 4 und 8 der Part 2 verwendet, ist der Spannungsbogen nicht identisch zu der im Bild gezeigten Version.

Dieses Prinzip hat aber seine Grenzen. Bei Übertreibung landet man schnell im Chaos, irgendwo zwischen Karlheinz Stockhausen und wilder 12-Ton Musik.

Bild: Viel ist nicht immer besser - zu viele Parts bringen Chaos und Unruhe

Der Hörer kann keine Erwartunghaltung mehr aufbauen, und die verschiedenen Parts sind zu viele. Dagegen würden 4 verschiedene Parts nacheinander, die 2 Mal wiederholt werden sicherlich besser funktionieren als das Beispiel im oberen Bild .

Wichtig ist ein Gleichgewicht zwischen Wiederholung und Überraschung.

Diese zwei Sections funktionieren super und bestehen nur aus drei bzw. vier verschiedenen Parts.

Bild: Section B in 8 Parts mit drei verschiedenen Parts

Bild: Section C in 8 Parts mit vier verschiedenen Parts

Natürlich gibt es noch viele weitere Kombinationsmöglichkeiten - hier ist eure Kreativität gefragt. Wer das Prinzip der "Phasen > Sections >Parts" verstanden hat, der sollte eine ganz anderes Sicht auf eine Jam erhalten haben.

Die Theorie in der Praxis

Klarheit in den Phasen

Als erstes sollte jedem im Jam die Phasen bewußt sein. Haben schon alle Musiker ihre Linie gefunden, oder probiert noch jemand rum? Solange die Basis nicht klar ist, läuft die Findungsphase. Wenn jemand noch rumprobiert, kann er auch schon in der Variationsphase sein, und hat damit die Einigungsphase ignoriert. Um weiteren Ärger zu ersparen, sollte er darauf hingewiesen werden das es noch eine Einigungsphase gibt, in der er seine Basislinie finden soll um einen einheitlichen Ausgangspunkt für die Variationsphase zu haben. Die Einigungsphase dient zudem dazu, den anderen Musikern seine eigene Basislinie zu zeigen - das ist später für die Orientierung untereinander sehr wertvoll! Aus meinen langjährigen Erfahrung kann ich den Tipp geben, das die simpelste Linie die Basis darstellen sollte - zum einen kann man sich später einfacher daran erinnern und schnell zur Basis zurück zu finden, und zum anderen bleibt für die anderen Musiker genug Platz, um in der Variationsphase eigene Varianten zu entwickeln.

Fazit: Überspringt jemand die Einigungsphase und steigt zu früh in die Variantionsphase ein, kann es bei den anderen Jam Teilnehmern zu Verwirrung führen

Besonders in der Einigungsphase ist es extrem wichtig, das die Augen und Ohren nicht nur bei seinem Instrument sind, sondern auch bei den anderen Jam Teilnehmern. Nur so bekommt man mit, wie die anderen Musiker ihre Basislinien gestaltet haben. Folgende Zeichen helfen, um gemeinsam aus der Einigungsphase in die Variantionsphase zu gelangen:
  • Ein Victory-Zeichen für (V)ariation
  • drei Finger hoch - für die dritte Phase "Variation"
  • einfaches Kopfnicken mit Augenkontakt zu den anderen Jam Teilnehmern wenn die eigene Basislinie steht
Absprechen bzw. Vorstellen sollte man die Phasen zu Beginn des Jams, oder wenn es bei den ersten Versuchen ohne Absprachen nicht funktioniert.
Steigt jemand unerwartet aus, oder jemand gibt per Handzeichen ein "Stopp", kann durch die selbst entwickelte Basislinie schnell wieder gestartet werden. Wenn alle Jam Teilnehmer ihre Basislinie wissen, spart man sich beim Neustart die Findungsphase komplett. Auch während und nach den Solos kann die Basislinie als Orientierung dienen.

Entwicklung der Varianten
Ausgehend von der Basislinie und mit dem Hintergrundwissen der Part-Einteilung kann man nun beginnen, die Parts zu variieren und abwechselnd einfache und komplexere Parts zu kombinieren, um interessante Sections zu kreieren. Siehe auch obigen Abschnitt "Parts".

Spielen mit Varianten
Es gibt zwei Typen von Musikern - die einen halten ihre Basislinie fest und weichen nur ungerne (oder ungewollt) ab. Die anderen variieren so stark, das die Basislinie nicht mehr erinnert werden kann und sich kein abwechslungsreiches Muster aus einfachen und komplexen Parts ergibt - sie spielen eher durchgängig ein Solo. Beide Verhalten kann man umtrainieren, wenn man sich die Parts und deren Komplexitätsgrad bildlich vor Augen vorstellt. Der Part 1 ist oft die Basislinie - nach 3 mal Part 1 spielt man eine Note mehr oder anders - und schon ist ein zweiter Part erstellt. Mindestens die Section-Variante mit den Parts 1|1|1|2|1|1|1|2 sollte jeder im ersten Jam hinbekommen. Sinnvolle Verkettungen von unterschiedlich komplexen Parts sollte man im Kopf behalten - das ist allerdings einfacher gesagt als getan. Hier hilft nur Übung und stetiges Denken in Parts.

Transponieren von Parts
Andere Akkorde und Akkordfolgen können sehr einfach genutzt werden - es müssen lediglich die Parts bzw. die Basislinie entsprechend transponiert werden. Das Part-Schema sollte unabhängig vom aktuellen Grundakkord erfolgen können. Hier ändern sich dann nur die Töne, nicht aber die Anzahl der Töne, Tondauer oder Tonlautstärke.

Dynamik entwickeln
Die Nutzung der Dynamik als Ausdruck ist in Jams sehr stark von allen Musikern abhängig. Gibt einer der Musiker "Gas" und erhöht seine Lautstärke, ziehen die anderen Jam Teilnehmer meistens mit. Hier läuft die Tondynamik sehr parallel zu der Gruppendynamik der Jam Teilnehmer. Ist einem dieser Gruppendynamik-Effekt bekannt, kann man über sein Spiel die anderen Jam Teilnehmer beeinflussen und auch den Jamtrack. Die Dynamikänderungen sollten aber innerhalb der Sections kontinuierlich passieren, und nicht abrupt - das verwirrt die meisten Jam Teilnehmer eher und funktioniert nur gut, wenn dies abgesprochen ist. Ebenfalls kann ein absichtliches heraushalten aus dem Gruppendynamik-Effekt sehr interessante Ergebnisse erzielen.

Solos

Für Solos ist der Part-Gedanke nicht gemacht - hier kann man sich mit ruhigem Gewissen dem eigenen Spiel voll und ganz widmen. Man sollte sich nur am Ende des Solos an seine eigene Basislinie erinnern - dies ist auch ein Signal an die anderen Jam Teilnehmer, dass das Solo nun abgeschlossen ist. Augenkontakt kann dies zusätzlich unterstützen.

Warum eine eigene Theorie?

In der klassischen Musiktheorie spricht man von musikalischen Parametern wie Tonhöhe, Tondauer und Tonlautstärke. Meine Theorie dient zur Beschreibung von Unterschieden innerhalb verschiedener Abschnitte. Mit den musikalischen Parametern kann weder die Anzahl von Tönen innerhalb eines Taktes (Tondichte?) noch die Unterschiede zwischen zwei Takten (Taktdifferenzen?) beschrieben werden. Und Jams basieren nicht auf geschriebenen Noten. Ich habe mir lange Gedanken zur Strukturierung und Beschreibung von Jams gemacht. Die Berücksichtigung der Tonlautstärke verwende ich nicht als Unterscheidungskriterium der Parts, denn es erscheint mir dieser Parameter nicht als sinnvoll. Beispiel: Ein Takt mit identischen Noten wird 8 mal hintereinander gespielt - nur immer lauter. Berücksichtige ich die 3 musikalischen Parameter, hätte ich 8 verschiedene Parts. Meine Theorie sieht darin eine dynamische Steigerung innerhalb einer Sektion, die aus einem einzigen Part besteht.

Das musikalische Ergebnis eines Jams kann in Noten beschrieben werden - aber nicht der Prozess und die Struktur - da während der Jam keine Noten existieren.

Wie sind eure Erfahrungen?
Lasst bitte einen Kommentar da und erzählt mir aus euren Erfahrungen mit Jams.

Mehr zum Thema "Jams, Jamtracks & Jamsessions" gibt es hier im Teil I

Freitag, 5. August 2016

Einfache Raumakustik Messung

Die Raumakustik kann mit einfachen Mitteln gemessen und so verbessert werden. Bevor Absorber oder Diffusoren gebaut und installiert werden, sollte die Raumakustik einmal gemessen werden. Im diesem Blogbeitrag erkläre ich, wie mit einfachen Mitteln solch eine Messung für den Bereich Home Recording möglich ist. Ich merke an, das eine professionelle Messung von geschulten Akustikern um ein Vielfaches genauer ist - aber im Bereich Home Recording existiert weder der kommerzielle Druck noch ist das entsprechende Budget vorhanden. Daher genügt mein Ansatz für den privaten Bereich vollkommen aus, das hat mir meine langjährige Erfahrung gezeigt.

Die Vorbereitungen


Für die Messung werden folgende Dinge benötigt:
  • Ein Computer
  • Die Software "RoomEQWizard" (http://www.roomeqwizard.com/)
  • Ein Messmikrofon (Kugelcharakteristik, linearer Frequenzgang)
  • Boxen
  • Audio-Interface
Da ein Computer, Boxen und ein Audio-Interface meistens schon vorhanden ist, fehlt nur noch ein Messmikrofon. Dies kann gut gebraucht gekauft werden. Kostenpunkt rund 100 €.

Die Software REW ist kostenlos, die Seite hat einiges an Informationen. Für die Bedienung sollte man sich die Hilfe-Seite anschauen: http://www.roomeqwizard.com/help.html.

Die Durchführung


1. Das Messmikro wird aufgestellt. Es kommt genau dort hin, wo die Hörposition ist. Die Höhe des Mikrofons sollte identisch sein mit der Kopfhöhe im sitzen. Das Messmikrofon zeigt mit der Membran nach oben - nicht nach vorne!
2. Das Messmikro wird an das Audio-Interface angeschlossen.
3. Das Programm wird gestartet.
4. Die Lautstärke wird eingepegelt. Dazu macht das Programm einige Geräusche. Mit dem Audio Interface wird nun die Eingangslautstärke so eingestellt, das der markierte Pegel im Programm erreicht wird.
5. Der Messvorgang wird durchgeführt. Dazu macht das Programm wieder einige Geräusche. Während der Messung sollten keine anderen Geräusche auftreten - also vorher alle anderen Geräte ausschalten (Smartphones!) und der Lüfter des Computers sollte nicht laufen. Sonst den Computer aus dem Raum schaffen.
6. Als Ergebnis gibt es ein Wasserfall-Diagramm, in dem erkennbar ist, wie die einzelnen Frequenzen im Raum resonieren.

Die Interpretation


Die Interpretation der Ergebnisse sind nicht ganz einfach. Es gibt aber immer ""Berge" und "Täler" die im Zeitverlauf abnehmen. Als Beispiel sind Bilder aus dem Tonstudio-Forum entnommen worden.

Berge

Ein Berg bedeutet, dass im Raum eine Frequenz betont wird und so ein längerer Nachhall in diesem Frequenzerbereich entsteht. Es muss in diesem Frequenzbereich daher etwas passieren - entweder werden die Boxen optimiert/ausgetauscht, ein EQ im Computer wird zur Korrektur genutzt - oder der Raum wird in diesem Frequenzbereich mit einem schmalbandigen Absorber ausgestattet, um diese Frequenzen zu bedämpfen. Optimal wäre natürlich, wenn die Boxen einen linearen Frequenzgang haben (was die meisten aber nicht haben) und es nur der Raum ist, der optimiert werden muss.

Täler

Ein Tal bedeutet, dass im Raum eine Frequenz bedämpft wird und so ein kürzerer Nachhall in diesem Frequenzerbereich entsteht. Es muss in diesem Frequenzbereich etwas passieren - entweder werden die Boxen optimiert/ausgetauscht, ein EQ im Computer wird zur Korrektur genutzt - oder der Raum wird auf einen natürlichen, schmalbandigen Absorber untersucht und eliminiert. Natürliche Absorber sind z.B. Gipsplatten, die einen Plattenabsorber bilden. Oder (wie in diesem Beispiel) bereits installierte Superchunks (in den Ecken) sowie eine Raummode die am Messpunkt eine Auslöschung durch Überlagerung erzeugt.

Beispiel


In diesem Beispiel sind Täler in den Frequenzbereichen bei über 100 Hz, bei 165 Hz Die, 180 Hz, 215Hz sowie 250 Hz. Dagegen ist im Bereich 50 Hz ein deutliches Dröhnen zu erkennen. Dies kann entweder auf eine starke stehende Welle hinweisen oder auf falsch eingestellte oder platzierte Boxen. Daher sollte vor der Raumoptimierung auch die Boxenpositionierung geprüft werden.

Da im Bereich 100 Hz ein starker Abfall zu erkennen ist, und 2 x 50Hz = 100 Hz ergibt, scheint am Messpunkt auch eine 100 Hz Mode zu sein - hier reduziert sich durch den Überlagerungseffekt der Frequenzbereich 100 Hz. Um Klarheit zu schaffen, was nun stehende Wellen und was die Wirkung der Superchunks ist, werden weitere Informationen der Raummaße sowie der Superchunk-Tiefe benötigt. Damit können die problematischen Frequenzen errechnet werden.

Auch wenn der Autor des Beitrages es nicht erwähnt, aber es scheint besonders der 50 Hz Bereich aufgrund der starken Ausprägung das entscheidende Problem zu sein. Um 50 Hz mit einem Superchunk zu bedämpfen, müsste der Aufbau 1,7 Meter tief sein. Da dies sehr unrealistisch ist, wäre an dieser Stelle ein Helmholtz-Resonator mit einem Volumen von 117,65 Litern wesentlich effektiver und platzsparender (Maße 50 x 50 x 50cm, Lochdurchmesser 11 cm, Materialstärke 1 cm, Zielfrequenz 49,71 Hz). Alternativ kann ein Plattenschwinger gebaut werden.

Man sollte sich allerdings von der Vorstellung verabschieden, eine nahezu perfekte Akustik in einem normalen Zimmer zu erhalten - dazu sind immer Baumaßnahmen erforderlich, in denen Wände entfernt oder geschrägt/gewinkelt werden, Trockenbauwände oder Porenbetonwände durch Steinwände ersetzt werden, Decken geschränkt/gewinkelt werden und so weiter. Die schlimmsten Berge und Täler sind dagegen recht einfach zu erkennen. Auf Basis der Messung können anschließend ein paar abgestimmte Absorber erstellt werden. Messungen vor und nach Aufstellung bieten schnell die bewertung der Effektivität. Dieses Vorgehen ist wesentlich besser, als viel Geld für teure Breitbandabsorber zu bezahlen, die oft das Bassproblem nicht in den Griff bekommen - jeder Raum ist individuell, daher müssen auch die Absorber individuell sein.

Weitere Informationen


Absorber: Absorber
Diffusoren: Diffusoren Studio Akustik: Blogeintrag von Georg Stuby

Videos


Videoreihe von MusoTalk

Ein Tonstudio entsteht - Messung der Raumakustik
Hinweis: Meiner Meinung von der Ausführung und Bewertung der Messung her das beste Video. Hier fehlt allerdings der Bezug zum Raum und den Akustik-Elementen.

Video von Old School Studios

Raumakustik: Nachhallzeit berechnen und bemessen. Absorber zur Optimierung?!
Hinweis: Ein Vorher/Nachher Vergleich

(Werbe-)Video von HOFA

HOFA Basstraps, Absorber und Diffuser Akustikmodule Teil 2
Hinweis: Teil 1 und 3 gibt es auch noch. Es werden einige HOFA Module vorgestellt. Dieses Beispiel ist eher für Musikräume gedacht (Musikschulen etc.) und weniger fürs Home Recording.

Donnerstag, 4. August 2016

DIY Absorber Selbstbau

Absorber

Absorber dienen zur Optimierung der Raumakustik. Von der Funktion her reduziert ein Absorber die Energie der Schallwellen eines Frequenzbereiches im Raum. Das Resultat ist die Verkürzung der Nachhallzeit. Es gibt mehrere Bauarten mit unterschiedlicher Funktionsprinzipien, die eine Absorption erzeugen.

Bauarten


Breitbandabsorber

Breitbandabsorber bestehen aus porösem Absorbermaterial, es wird oft Mineralwolle aber auch spezieller Schaumstoff dazu verwendet. Während Modelle mit Mineralwolle sehr günstig ist, sind die Schaumstoff-Modelle deutlich teurer. Breitbandabsorber bedämpfen einen breiten Frequenzbereich, da die Schallwellen durch das poröse Material "ausgebremst" werden. Der Wirkungsgrad ist im Vergleich zu anderen Absorbern nicht sehr hoch. Im Selbstbau ist ein Breitbandabsorber sehr einfach herzustellen.

Breitbandabsorber Bauanleitung

Materialliste
  • 10 Holzlatten, Baumarktmaße 2,4 x 4,8 cm (Baustoffhandelmaße 2,5 x 5 cm), 200 cm Länge
  • Dichter Baumwollstoff 1,2 m², gute Spannbarkeit
  • 1,2 m² Glasfaser Gitternetz (Fassaden-Armierung)
  • 1,2 m² formstabile Mineralwolle, 5cm Dicke, diffusionsoffen
  • Kappsäge
  • Elektro-Tacker
  • Holzleim
  • Akkubohrer
  • Schrauben
Ich habe aus 10 günstigen Baumarkt-Leisten (2,4 x 4,8 cm) einen Rahmen gebaut, wobei ich pro Seite zwei Leisten mit der 2,4 cm hohen Seite so aneinander klebe, das die Gesamthöhe 2 x 4,8 = 9,6 cm beträgt. An den Ecken setze ich zur Verstärkung Schrauben in die Leisten. Ist der Rahmen fertig, tackere ich auf die Vorderseite eine Glasfaser Gittermatte (Baubedarf für Fassaden-Armierung bei Häusern) um die Mineralwolle vor dem Herausfallen zu hindern. Ist die Glasfaser Gittermatte befestigt, wird die Mineralwolle eingesetzt. Die Mineralwolle darf weder zu locker sitzen, noch zu groß sein, sondern muss gut im Rahmen sitzen, ohne das die Mineralwolle sich biegt. In die Rückseite des Rahmens setze ich zwei Leisten längs, um auch auf der Rückseite die Mineralwolle zu stabilisieren und einen Abstand zwischen der Wand und der Mineralwolle sicherzustellen. Diese Leisten verleime ich an dem Rahmen und setze zusätzlich zur Stabilisierung Schrauben. Alternativ zu den Leisten kann auch eine zweite Gittermatte für die Rückseite befestigt werden. Ich habe beide Varianten ausprobiert, und fand die Leisten schneller/einfacher aber ebenso effektiv.

Die Dicke der Mineralwolle sollte ungefähr 5cm (halbe Rahmenbreite) dick sein, so daß noch ein Luftraum zwischen der Mineralwolle und der Wand bleibt. Dies erhöht die Effektivität, reduziert aber den Frequenzbereich geringfügig. Mineralwolle gibt es in unterschiedlichen Ausführungen - es sollte eine formstabile, dichte Mineralwolle sein. Ich bevorzuge Rockwoll Sonorock in 50mm Dicke, die ist Formstabil und diffusionsoffen.

Als Finish wird ein Baumwollstoff über die Vorderseite gezogen, gut gespannt und auf der Rückseite am Leistenrand mit Tackernadeln befestigt, damit von vorne und von der Seite keine Tackernadeln zu sehen ist. Mit dem Spannen beginne ich je Seite in der Mitte und arbeite mich zu den Ecken, da die Ecken der schwierigste Teil ist. Der Baumwollstoff sollte eine gute Qualität und Dichte haben. Zum einen soll es die Mineralwolle und das Gitternetz verdecken, zum anderen darf der Baumwollstoff nicht die Spannung verlieren. Statt Baumwolle kann auch Polyestertuch verwendet werden. Am Schluss wird der überschüssige Stoff abgeschnitten. Für die Befestigung können Bilderhaken verwendet werden, da die Konstruktion sehr leicht ist.

Helmholtz Resonator


Resonatoren arbeiten - im Gegensatz zu Breitbandabsorbern - nach dem Masse-Feder Prinzip. Ein Resonator ist ein Holzkasten mit einem Loch (oder mehreren Löchern) der auf einen schmalen Frequenzbereich resoniert. Diese Resonation bedämpft die Schwingungsenergie. Die Größe des Kastens (bzw. das Volumen) sowie die Länge und Größe des Resonatorloches bestimmt die Resonationsfrequenz. Helmholtz-Resonatoren werden besonders bei problematischen Frequenzen verwendet, diese werden auch Raummoden genannt.

Helmholtz Resonator Bauanleitung
In Kurzform: Es wird ein Kasten aus MDF-Platten erstellt, der ein bestimmtes Volumen hat. Auf der Frontseite wird ein Loch eingesetzt. Je nach Zielfrequenz variiert man das Volumen, den Lochdurchmesser und nutzt ggf. noch ein Rohr als Port nach innen für das Loch. Der Kasten muss in allen Ecken luftdicht ausgeführt werden, das kann mit Silikon oder Acryl erreicht werden.

Für die Berechnung gibt es verschiedene Rechner, die es auch online gibt. Unter anderem ist ein Rechner auf der MH Audio Seite verfügbar. Da die Berechnung vom Bau immer etwas abweicht, ist ein kleines Loch oben oder hinten wichtig, um ein Messmikrofon einzusetzen. Weicht die IST-Frequenz von der berechneten Frequenz ab, kann über Füllstoff oder über die Lochport-Länge die Frequenz noch feinjustiert werden. Wenn das Volumen allerdings zu klein ist, hat man ein Problem und muss eine neue Kiste bauen. Daher mein Tipp: Das Volumen immer etwas größer wählen, und dann bei der Feinjustierung das Volumen verkleinern. Zudem sollte das Resonator-Loch so groß sein, das mindestens der halbe Arm durchpasst, um Feinjustierungen und Korrekturen vorzunehmen. Der Bau ist einfach, die Justierung eher nerviges Gefummel. Aus Erfahrung kann ich aber sagen, das es durchaus machbar ist und die Effektivität für den Bassbereich sehr hoch ist, so daß oft nur zwei bis vier Kästen in den Ecken ausreichen, um tiefe Bassfrequenzen in den Griff zu bekommen. Ich habe auch dreieckige Kisten gebaut, die besser in die Zimmerecken passen als eine quadratische Kiste. Das Volumen muss für die Rechner verdoppelt werden damit die Standard-Rechner genutzt werden können - eigentlich alles einfache Raumlehre.

Lochplatten


Lochplatten sind funktional identisch zu Helmholtz-Resonatoren, wobei sich hinter den Lochplatten ein abgeschlossener Raum befinden muss, damit das Masse-Feder Prinzip effektiv arbeiten kann. Lochplatten werden aufgrund der Bauart und geringen Kosten in abgehängten Decken von öffentlichen Gebäuden wie Schulen oder Krankenhäusern verwendet.

Lochplatten können Löcher mit identischem Durchmesser oder auch unterschiedlichem Durchmesser haben. Durchmesser wie auch Anzahl der Löcher beeinflusst die Wirkfrequenz und die Effektivität.

Lochplatten Bauanleitung
Die eigene Herstellung der Lochplatten ist nach meiner Erfahrung nicht zu empfehlen, da es ein irrsinniger Aufwand ist, und selbst mit einer Ständerbohrmaschine nicht alle Löcher symmetrisch exakt gesetzt werden können. Daher ist es besser, Lochplatten zu kaufen.

Die Installation ist einfacher. Vorzugsweise sollten Lochplatten an der Decke installiert werden. Hinter der Decke muss noch genügend Luft sein, damit der Effekt eintritt. Für eine abgehängte Decke genügt es, Abstandshalter und T-Aluleisten zu verwenden. Wer schlau ist, schaut nach gebrauchten Materialien aus dem Ladenbau.

Plattenschwinger


Plattenschwinger sind Platten, die aufgrund ihrer Größe, des Gewichtes und der Aufhängung durch Schallwellen zum schwingen angeregt werden. Die schwingenden Platten benötigen zusätzlich eine "Bremse" in Form einer anliegenden Mineralwollmatte, damit die Schwingungsenergie der Platte effektiv "entzogen" wird.

Superchunks


Superchunks sind Breitbandabsorber, die in einer Raumecke aufgebaut wird. Schallwellen haben besonders in Ecken einen starken Energiestau, daher sind Breitband-Absorber am Effektivsten in den Raumecken. Superchunks können vollständig aus Mineralwolle oder mit einer Luftkammer hinter der Mineralwolle aufgebaut werden. Wird die Ecke vollständig mit Mineralwolle ausgekleidet, erweitert es den Frequenzbereich. Ein Luftpolster hinter der Mineralwolle verringert den Frequenzbereich, aber erhöht die Effektivität der Bedämpfung. Superchunks sind eine Möglichkeit, den oft in kleineren Räumen problematischen Bassbereich in den Griff zu bekommen. Dabei ist die Tiefe der Superchunks mit der Bassfrequenz des Raumes abzustimmen. Ist der Superchunk zu tief, kann zu viel Bass geschluckt werden. Ist er zu flach, reicht die Bedämpfung nicht aus oder es bleibt ein Problem im untersten Bassbereich.

Donnerstag, 9. Juni 2016

Jams, Jamtracks & Jamsessions

Jams

Ein Jam ist eine teilweise bis völlige Improvisation von verschiedenen Musikern zur gleichen Zeit. Form, Struktur, Stil, Sound, Harmonien etc. können im Vorfeld besprochen werden - eine Jam funktioniert aber genauso gut, wenn keine Absprachen existieren.

Ein Jam hat kein Anspruch auf Perfektion und kein festgelegtes Ziel, sondern lebt von der Ideenvielfalt, Kreativität und Variation der einzelnen Musiker.

Freie Instrumentenwahl oder ein Wechsel der Instrumente während der Jam ergeben neuartige, musikalische Ergebnisse und unerwartete Klangschöpfungen. Diese Art der völlig freien Improvisation bietet sich besonders für Band an, die bereits seit mehreren Jahren in gleicher Besetzung spielen und neue Wege der Kreativität suchen.

Vorgehen

Einer der Musiker startet und gibt ein Lick, Riff, Groove oder Melodie-Linie vor. Die anderen Musiker steigen nacheinander ein. Während eines Jams variieren die Musiker eigenständig ihre Parts, so dass immer wieder neue Gesamtarrangements entstehen.  Ein Jamtrack enden, wenn einer der Musiker ganz aussteigt (und nicht nur pausiert) oder per Blickkontakt / Handzeichen ein Ende signalisiert und alle anderen Musiker gleichzeitig oder nacheinander aussteigen.

Jamtracks

Jamtracks sind die Musikstücke, die innerhalb eines Jams entstehen. Jamtracks haben typischerweise keine klaren Strukturen. Die Jamstracks bestehen aus unterschiedlichen Sektionen, die fließend ineinander übergehen. Die typische Länge von Jamtracks liegt zwischen 5 und 15 Minuten. Ein Jamtrack kann auch über mehrere Stunden gehen, je nach Ausdauer und Ideenvielfalt der beteiligten Musiker.

Tipps & Tricks

Intro: In einer Jam fällt es vielen Musikern besonders am Anfang schwer, den ersten Schritt zu tun und ein Jamtrack zu beginnen. Einige Musiker möchten in einer Jam ihr Können unter Beweis stellen, und beginnen mit einem sehr komplexen Riff/Lick, dem die anderen Musiker nicht folgen können oder wollen, da es keinen Freiraum für die anderen Instrumente gibt. Für den Start sollte daher eine sehr einfache Melodie oder ein sehr reduziertes Riff dienen, damit den anderen Musikern der Einstieg erleichtert wird. Im Laufe des Jam kann dann die Komplexität erhöht werden. In Solo-Einlagen kann jeder Musiker sein Können unter Beweis stellen.

Solos: Für die einen die geliebte Kür, für die anderen unangenehme Pflicht - dennoch gehört in jeder Jam ein Solo pro Musiker als persönlicher Beitrag dazu. Wer unendliche Solos liebt, sollte zwischendurch in die Gesichter der Mitmusiker schauen - es könnte für die anderen irgendwann sehr langweilig werden. Wem Solos nicht liegen sollten, der kann diese Momente nutzen um sich an Solos auszuprobieren. Jamtracks ganz ohne Solos funktionieren, erfordern aber mehr Variation und Vielfalt von den Musikern, damit keine Langeweile aufkommt.Und irgendwie gehören Solos einfach zu einer guten Jam dazu.

Fehler: Fehler passieren in einer freien Jams immer - egal ob jemand sich verzettelt, aus dem Takt kommt oder die Notenfolge verwechselt hat. Die Herausforderung beim Jam ist, sich von den Fehlern  der anderen nicht aus dem eigenen Konzept bringen zu lassen und bei eigenen Fehlern wieder "in die Spur" zu kommen. Wer aufgrund einer falschen Note abbricht (und heult), verdirbt den anderen und sich selbst den Spaß am jammen.

Nach Gehör spielen: Es gibt bei einer improvisierten Jam keine Noten und im Vorfeld besprochene Harmonie-Vorgaben schränkt die künstlerische Freiheit der einzelnen Musiker unnötig ein. Daher ist es sehr hilfreich und teilweise unabdingbar, das die Musiker "nach Gehör" spielen können oder über den Blick auf die Instrumente der anderen Musiker (z.B. Griffbrett oder Klaviatur) die gespielten Noten erkennen. Über das "Ausprobieren" kann versucht werden, passende Noten zu finden. Besonders die Komponente "Ausprobieren" erzeugt interessante Ergebnisse, die in der "klassischen" Herangehensweise an eine Komposition oder Arrangement nur sehr selten Verwendung finden würden.

Aufeinander achten: Ein Jam endet schnell im Chaos, wenn keiner auf den anderen achtet. Daher ist es extrem wichtig die anderen Musiker zu beobachten bzw. hinzuhören wer gerade was spielt. Dabei hilft es sehr, wenn die lauteren Musiker ihre Verstärker und ihre Kraft zügeln. Bei Fehlern darf zwar über die Fehler, aber nie über den Musiker gelacht werden. Während einer Jam entsteht eine gewisse Art von Vertrauen unter den Musikern und das sollte man mit solchen Aktionen nicht aufs Spiel setzen.

Weniger ist mehr: In Jams spielen die Charaktere der Musiker eine große Rolle - wer sich auf Dauer in den Vordergrund drängt (durch zu hohe Lautstärke oder stetige Nerv-Soli) wird die anderen verärgern, da für die anderen Musiker zu wenig Platz für die kreative Entfaltung bleibt. Daher sollten alle Musiker ihre egozentrischen Eigenheiten zügeln und sich in Geduld üben. Der Moment des Solos wird für jeden kommen. Auch komplexe Riffs/Licks oder Speedprügelei am Schlagzeug ermüden die anderen Musiker irgendwann, denn es bleibt kein Platz um eine Dynamik im Jamtrack auf- und auch wieder abzubauen.
Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, das eher die einfachen Licks/Riffs oder Melodien die anderen Musiker zu guten Ideen anregen. Komplexere Parts lassen dagegen wenig Spielraum für neue Ideen -  aber das muss natürlich nicht immer so sein.

Non-verbale Kommunikation: Während der Improvisation ist eine verbale Konversation nicht möglich oder sehr störend. In Jams wird daher mit Blickkontakten oder Handzeichen kommuniziert. Falls dies nicht funktioniert, gibt es alternative Ansätze um während der Jam innerhalb der Jamtracks zu kommunizieren:
  • Jam-Leader: Es wird zu Beginn gemeinsam ein Jam-Leader bestimmt. Dieser dient den anderen Musikern zur Orientierung, ähnlich einem Dirigenten in einem klassischen Orchester. Der Jam-Leader signalisiert mit Handzeichen Übergänge, Breaks, verteilt per Fingerzeig Solorollen oder kündigt das Ende eines Jamtracks an.
  • Jam-Zonen: Experimenteller wird es, wenn der Raum (oder die Bühne) in verschiedenen Zonen aufgeteilt wird. Die Zonen und deren Bedeutung werden zu Anfang unter den Musikern abgesprochen. Zonen sind im einfachsten Falle die Ecken eines Raumes - können aber auch Orientierungspunkte wie "Ausgangstür",  (vor dem) "Schlagzeug",  (vor dem ) "Gitarrenamp" etc. sein. Auf einer Bühne wird eher der vordere Bereich in "Links, Mitte, Rechts" aufgeteilt. 

Jamhabits: Jeder Musiker hat seine eigenen musikalischen Muster oder Angewohnheiten (Jamhabit) , in die er gerne zurückfällt. Um diese Jamhabits zu vermeiden, lohnt es sich Riffs oder Melodien anderer Musiker zu übernehmen und abzuwandeln. Eine andere Möglichkeit ein Tausch der Instrumente untereinander. "Fremde" Instrumente zu erforschen weckt die natürliche Neugier und lässt im Zusammenspiel mit den anderen Musikern ganz neue Klanggebilde entstehen. Es erzeugt ein tieferes Verständnis von anderen Instrumenten, deren tonalen Möglichkeiten und dem Klangspektrum. Die Ergebnisse aus einem Instrumentenwechsel sind nicht perfekt tonal und oft nicht harmonisch "schön", können aber durchaus Freude bereiten und sehr interessant sein.

Gruppendynamik: Die Gruppendynamik innerhalb einer Band kann durch Jamsessions trainiert und auf ein höheres Level befördert werden. Die Abstimmung wer was spielt - ohne verbale Kommunikation - trainiert das bewusste Zuhören und das Verständnis untereinander. Fehlertoleranz gegenüber anderen Bandmitgliedern fördert das Vertrauen. Werden Melodien oder Riffs von anderen Bandmitgliedern übernommen, gedoppelt oder variiert, ist dies Anerkennung und Wertschätzung gegenüber dem anderen Bandmitglied - eine wichtige soziale Erfahrung die das Selbstwertgefühl und die Selbstsicherheit der Mitglieder steigert.
Ein wichtiger Teil der Gruppendynamik ist auch die Beeinflussung der anderen Musiker durch den eigenen musikalischen Beitrag.

Reflexion: Eine Jamsession kann als "Happening" passieren - und somit ohne eine Feedback-Runde verhallen. Wer allerdings etwas lernen will und sich weiterentwickeln möchte, der sollte seine Eindrücke in anschließenden kurzen Gesprächen (je nach Gruppengröße 5-10 Minuten pro Jamtrack) mit den anderen Musikern teilen. Hier sind besonders die "magischen Momente" hervorzuheben, die bei Jamsessions immer wieder entstehen können sowie die Parts oder Melodien die einem besonders gefallen haben. "Feedback ist ein Geschenk" - und jeder freut sich über Geschenke!

Analyse: Wer tiefer in die Analyse von Jams steigen möchte (und das rate ich jedem) der sollte die Jamsession aufnehmen. Aus eigener Erfahrung kann ich berichten, das sich durch regelmäßige Analyse der Jamsession-Aufnahmen einen erheblicher Entwicklungsschub einstellt. Es führt zu einer stetigen Erweiterung der Spielart sowie sowie die Verbesserung der Instrumentenbedienung und der Klanggestaltung. Schnell wird einem klar, welche Riffs, Melodien und sonstige Dinge gut funktionieren und welche Techniken sich für fließende Übergänge zwischen Sektionen am besten eignen. Und für mich als Synthie-Schrauber gibt es mir ein sehr gutes Feedback, wie meine Sounds im Gesamtklang der Gruppe wirken.

Recording: Durch die technische Entwicklung im Bereich Homerecording ist es inzwischen ohne hohe Kosten möglich, mit PC und Soundkarte eine ganze Band in separaten Spuren aufzunehmen, so daß jeder der Musiker (Interesse und PC-Kenntnisse vorausgesetzt) seine Spur innerhalb der Jamsession anhören und analysieren kann.

Jamrecording mit Klick: Ein Klicktrack ist eine Einschränkung, aber auch eine Hilfestellung. Zum einen schränkt der Klick die natürliche Schwankung des Tempos ein, zum anderen ist es als Richtlinie hilfreich, um allzu große Temposchwankungen zu vermeiden. Es sollten in jedem Falle beide Varianten probiert werden.

Mixing: Wer die Jamsession in Mehrspurverfahren aufgenommen hat, kann auch seine Mixing-Skills verbessern, da gutes "Übungsmaterial" vorhanden ist. Da Jamsessions in der Regel sehr reich an spielerischer Varianten sind, können aus einer Aufnahme mehrere Versionen kreiert bzw. Remixe erstellt werden. "Elastic Audio" und "Pitch Shifting" erleichern es, die Aufnahmen (wenn ohne Klick aufgenommen) in ein Sequenzer-Raster einzupassen und schiefe Töne zu korrigeren.

Info: Im deutschen Wikipedia Eintrag ist über eine Jamsession nur sehr wenig Information enthalten: https://de.wikipedia.org/wiki/Jamsession

Über den Autor: Der Autor greift im Bereich Jams / Jamsessions auf über 15 Jahre praktische Erfahrung zurück. Als treibende Kraft hat er Jamsessions mit verschiedenen Musikern aus dem Norddeutschen Bereich organisiert und durchgeführt.